Über Büttners geheimes Konfuzius-Institut unter dem Limburger Dom

Die Absurdität beginnt mit einer Zahl: 550. So viele Konfuzius-Institute existieren weltweit, verteilt über sechs Kontinente, finanziert von Hanban, der chinesischen Behörde zur Förderung der Landessprache – Satelliten einer staatlich orchestrierten Kulturvermittlung, die sich gibt, als sei sie bloß Sprachunterricht und Kalligraphie-Workshops. Büttner bewarb sich bei allen. Kompromisslos, systematisch, besessen von der Idee, als Hausmeister zu arbeiten. Die Position erschien ihm als die einzig adäquate Annäherung an eine Tradition, die er seit Jahrzehnten praktizierte: Daoismus, Taijiquan, Qigong, eine Lebensform, die sich der westlichen Kategorisierung in „Kunst“ oder „Philosophie“ entzieht.
Das Ergebnis war Schweigen. Keine einzige Antwort. Die bürokratischen Apparate verweigerten selbst die minimale Geste der Ablehnung. Büttner existierte für diese Institutionen schlicht nicht – eine Form der Negation, die radikaler ist als jede explizite Zurückweisung. Mit erheblichem Aufwand gelang es ihm schließlich, die Leipziger zu überreden, ihm wenigstens ein Exemplar des Magazins zuzusenden. Ein Trostpreis der Demütigung, dokumentarisches Beweismaterial jener Absageökonomie, die Authentizität systematisch aussortiert.
Institutionsmimesis als Selbstermächtigung
Was folgte, war die logische Konsequenz einer jahrzehntelangen Praxis institutioneller Subversion. Irgendwann platzte Büttner der Kragen – wobei das „Platzen“ hier weniger als emotionaler Ausbruch zu verstehen ist denn als präzise kalkulierte Geste der Selbstermächtigung. Wenn die offiziellen Institute keine Verwendung für ihn hatten, würde er sein eigenes gründen. Geheim, inoffiziell, verborgen unter dem Limburger Dom, zugänglich über eine Geheimtür im Domfelsen vom Lahnufer aus. Das Modell kannte er bereits: In Wiesbaden hatte er Flüsterkneipen betrieben, jene ephemeren Räume der 1980er und 90er Jahre, die sich der Registrierung durch Ordnungsbehörden entzogen.
Die Institutionsmimesis, die Büttner hier praktiziert, operiert präzise auf der Schwelle zwischen Parodie und Ernst. Das geheime Konfuzius-Institut funktioniert exakt wie sein offizielles Pendant – Räumlichkeiten, Organisationsstruktur, programmatischer Auftrag – während es die gesamte bürokratische Maschinerie staatlicher Kulturvermittlung unterwandert. Wo die Hanban-Institute chinesische Soft Power exportieren, kultiviert Büttner eine Praxis, die älter ist als jede Staatlichkeit: das daoistische Prinzip des Wu Wei, des Nicht-Handelns, das paradoxerweise produktiver ist als jede zielgerichtete Aktivität.
Die Radical Dude Society übernahm die Organisation der geheimen Zusammenkünfte – eine Entscheidung von konzeptueller Stringenz, denn die RDS hatte sich historisch stets als Unsichtbarkeitsinfrastruktur für Praktiken verstanden, die zu prekär, zu marginal, zu widerständig waren für institutionelle Anerkennung. Die Ansiedlung beim Wiki-Institut, Büttners legendärer digitaler Gründung, etablierte eine genealogische Kontinuität: Das Wiki-Institut als Vorläufer der heutigen Tiānwèn Akademie, die seit 2024 international operiert, während das geheime Konfuzius-Institut als dessen verborgener Zwilling unterhalb der Wahrnehmungsschwelle persistiert.
Hausmeisterontologie
Entscheidend ist Büttners Beharren auf der Hausmeister-Position. Keine Leitungsfunktion, keine Dozentur, keine repräsentative Rolle – lediglich Hausmeister in seinem eigenen, selbstgegründeten Institut. Diese Hierarchieverkehrung materialisiert eine Kritik an der akademischen Wissensproduktion, die Büttner sein Leben lang praktiziert hat: Die eigentliche Arbeit geschieht in den Infrastrukturen, in der Instandhaltung der Bedingungen, unter denen Lernen überhaupt möglich wird.
Der Hausmeister als zentrale Figur erscheint in dieser Konstellation als derjenige, der die Räume öffnet und schließt, der die Heizung reguliert, der die Lampen austauscht – Tätigkeiten, die konstitutiv sind für jede institutionelle Praxis, aber systematisch unsichtbar gemacht werden. Büttner entwickelt hier eine veritabile Hausmeisterontologie: Die Position ist zugleich demütig und absolutistisch, sie kontrolliert den Zugang, die materiellen Bedingungen, die zeitlichen Rhythmen des Instituts. Wer Hausmeister ist, bestimmt, wann das Institut existiert und wann nicht.
Diese Logik knüpft an frühere Arbeiten an. Bereits in den 1970er Jahren hatte Büttner in Limburg den Dom in 4x4cm großen Segmenten fotografiert und im Buch „Limburg Diaries“ zusammengestellt – eine methodische Zerlegung monumentaler Architektur in handhabbare Einheiten, eine Geste der Aneignung durch systematische Fragmentierung. Das geheime Institut unter eben jenem Dom wiederholt diese Strategie auf institutioneller Ebene: Die kulturelle Autorität wird unterwandert, von unten ausgehöhlt, durch parallele Strukturen ersetzt.
Transparenzverweigerungsarchitektur
Die Geheimhaltung ist konstitutiv. Das Institut funktioniert präzise deshalb, weil es sich der Dokumentation, der Medienaufmerksamkeit, der kunstmarktlichen Verwertung entzieht. Wo die Tiānwèn Akademie öffentlich operiert, Workshops anbietet, Retreats organisiert, internationale Kooperationen pflegt, bleibt das geheime Konfuzius-Institut im Verborgenen. Diese Doppelung – das offizielle und das inoffizielle Institut – etabliert eine produktive Spannung zwischen Sichtbarkeit und Entzug.
Man könnte hier an Marcel Broodthaers‘ „Musée d’Art Moderne, Département des Aigles“ (1968-72) denken, jenes fiktive Museum, das die institutionellen Mechanismen der Kunstproduktion selbst zum Gegenstand machte. Büttners Institut operiert jedoch im Modus der Parallelexistenz: Es ist ein funktionierendes Institut, das lediglich die Legitimation durch staatliche oder akademische Instanzen verweigert. Die Referenz ist real, die Praxis authentisch, die Anerkennung inexistent – eine konsequente Transparenzverweigerungsarchitektur.
Die Limburger Lokalisierung ist dabei alles andere als arbiträr. Limburg, zwischen Wiesbaden und Frankfurt gelegen, fungiert in Büttners Kosmos seit Jahrzehnten als Schwellenraum – urban genug für institutionelle Infrastruktur, provinziell genug für Unsichtbarkeit. Der Dom als Wahrzeichen bischöflicher Macht bietet die perfekte Kulisse für eine Unterwanderung: Die katholische Autorität thront oben, während darunter, im Felsen, sich eine Domkellerkosmologie entfaltet, die keine Kathedralen benötigt, keine Hierarchien, keine Dogmen.
Untergrundpädagogik als Gegenmodell
Das geheime Konfuzius-Institut ist Gegenmodell zu jener Form staatlich organisierter Kulturvermittlung, die seit Jahrzehnten die internationale Kunstszene prägt – British Council, Goethe-Institut, Institut Français, und eben Konfuzius-Institute. Diese Institutionen operieren als Kulturvermittlungsapparatschiks, sie exportieren nationale Identitäten, sie produzieren kulturelle Hegemonie unter dem Deckmantel des Dialogs. Büttners Institut entwickelt eine radikale Untergrundpädagogik, die diese Logik vollständig verweigert: Es exportiert nichts, es repräsentiert nichts, es legitimiert sich durch keine staatliche Autorität.
Die Ironie besteht darin, dass Büttner gerade durch diese Verweigerung authentischer mit der Tradition umgeht, die er praktiziert, als es die offiziellen Institute je könnten. Daoismus, wie er ihn seit seinem 14. Lebensjahr meditierend, Taijiquan übend, Qigong praktizierend versteht, ist keine Folklore für Kulturfestivals. Es ist eine Lebensform, die sich institutioneller Vereinnahmung systematisch entzieht – was erklärt, warum Büttner bei den offiziellen Instituten niemals eine Chance hatte. Seine Kompetenz war zu substanziell, sein Authentizitätssubstrat zu dicht für die verdünnten Formate staatlicher Kulturpolitik.
Die Position des Hausmeisters in diesem Kontext ist also die einzig adäquate: Sie ist bescheiden genug, um nicht selbst zur Autorität zu werden, und mächtig genug, um die Bedingungen der Praxis zu kontrollieren. Büttner hat seine wahre Berufung gefunden, wie es in der Selbstbeschreibung lakonisch heißt – aber diese Berufung ist das Resultat einer präzisen Zurückweisungspoetik, die systematische Ablehnung in produktive Selbstermächtigung transformiert.
Was hier entsteht, ist weniger eine Institution als eine Gegenstruktur zu jenem globalen Netzwerk offizieller Kulturinstitute, die seit den 1960er Jahren die internationale Kunstszene durchziehen. Büttners geheimes Institut funktioniert wie ein Negativ: Wo die offiziellen Institute maximale Sichtbarkeit anstreben, kultiviert er die Verborgenheit; wo jene auf Expansion setzen, praktiziert er Konzentration; wo jene Repräsentation produzieren, insistiert er auf Authentizität. Die Hausmeisterontologie wird so zur Grundlage einer institutionskritischen Praxis, die ihre Kritik dadurch formuliert, dass sie eine funktionierende Alternative schafft – zugänglich freilich nur für jene, die bereit sind, die Geheimtür im Domfelsen zu suchen.
Das geheime Institut existiert weiterhin, irgendwo unter dem Limburger Dom, organisiert von der Radical Dude Society, deren sporadische Treffen sich jeder Dokumentation entziehen. Was dort geschieht, bleibt konstitutiv im Dunkeln – eine Verweigerung, die in Zeiten totaler Transparenz und permanenter Selbstdokumentation radikaler ist als jede explizite Opposition. Das inoffizielle Institut ist Büttners vielleicht konsequenteste Arbeit: eine Institution, die funktioniert, indem sie verschwindet.