Zur paradoxalen Materialitätslogik bei Sascha Büttner
„Das Sein erzeugt Nutznießung, das Nicht-Sein Verwendung“ – dieser Satz, der zunächst wie ein daoistisches Koan daherkommt, durchzieht Büttners Oeuvre als unausgesprochene Grammatik, als strukturierendes Prinzip einer Praxis, die Erhalt gegen Vergang setzt und beides zugleich bejaht. Wer Büttners Bitumenarbeiten kennt, ahnt bereits: Hier geht es um mehr als Materialwahl, um ein Denken, das die Dichotomie von Präsenz und Absenz zum ästhetischen Programm erklärt.
Die Formulierung selbst mag an Laozi erinnern (Kapitel 11: „Dreißig Speichen treffen die Nabe, / doch das Nichts dazwischen macht den Nutzen des Rades aus“), doch Büttner liest sie durch die Brille einer posthumanen Produktionslogik, die zwischen Konsumption und Funktion, zwischen Genuss und Instrumentalisierung unterscheidet. Das Sein – materiell, präsent, massiv – erzeugt Nutznießung, also jenen parasitären Zugriff auf das Vorhandene, der es verzehrt, ohne es zu transformieren. Das Nicht-Sein hingegen – Leerstelle, Abwesenheit, Potentialität – generiert Verwendung, ermöglicht überhaupt erst Gebrauch, weil es Raum lässt für Projektion, Aneignung, Einschreibung.
Büttners Affirmationsbilder aus den frühen Neunzigern, diese mit unzähligen Bitumenschichten überzogenen Holztafeln, markieren genau diese Schwelle. Sie sind da, physisch überwältigend in ihrer Materialakkumulation, zugleich entziehen sie sich durch ihre tautologische Selbstreferentialität jeder eindeutigen Funktion. „Ein universelles Zeichen für ein Gemälde“ nennt Büttner diese Arbeiten, womit er sie in jene Grauzone zwischen Indexikalität und Symbolik überführt, wo das Dargestellte identisch wird mit der Darstellung. Die Nutznießung dieses Seins wäre die kontemplative Rezeption, das Eintauchen in die schwarzglänzende Oberfläche. Die Verwendung geschieht andernorts: im diskursiven Raum, wo diese Objekte als Kommentare zum erweiterten Kunstbegriff zirkulieren, als theoretische Setzungen, die ihre eigene Materialität strategisch einsetzen.
Bitumen, dieser Raffinationsrest der Petrochemie, den Büttner zum vielleicht zentralsten Material seiner Praxis erhebt, verkörpert den Widerspruch exemplarisch. Büttner selbst formuliert es in einem Text: „Auf der anderen Seite ist Bitumen dem Gold verwandt“ – beide Materialien teilen die Eigenschaft absoluter chemischer Inertheit, beide konservieren, ohne zu reagieren. Hier tritt das Sein in seiner reinsten Form auf: Als Material, das einfach ist, ohne zu werden, das Dauer garantiert und gleichzeitig – durch seine haptische Empfindlichkeit – permanente Transformation provoziert. Die Kupferbilder etwa, deren Oberflächen mit Essig behandelte Acetate aufweisen, bleiben in einem Zustand kontrollierten Verfalls. Büttner schützt diese vulnerablen Häutungen nicht, überlässt sie klimatischen und mechanischen Eingriffen, kalkuliert das Unvorhersehbare als ästhetischen Faktor ein. Diese Verfallsästhetik operiert mit der Zeit als Ko-Autorin, installiert Prozessualität dort, wo Konservierung erwartet würde.
Diese Dialektik von Konservierung und Preisgabe durchzieht das gesamte Werk. Die Fotografien der Gemeinschaftsinstallation „Allee“ von 1995 wurden bewusst ungeschützt an Bäumen befestigt, Wind und Wetter ausgesetzt, ihre geplante Vergänglichkeit Teil der künstlerischen Setzung. Hier wird das Nicht-Sein produktiv: Die Abwesenheit von Schutzmechanismen ermöglicht erst die eigentliche Verwendung – durch Wetter, Passanten, spielende Kinder, die Büttners Steininstallationen umordnen. Was verschwindet, hinterlässt Spuren, wird Teil urbaner Palimpseste, transformiert sich von Nutzobjekt zu Erzählung. In dieser Absenzpräsenz, wo das Werk seine physische Form aufgibt, verdichtet sich paradoxerweise dessen konzeptuelle Potenz, entfaltet sich die eigentliche Wirkung als Denkfigur, als Intervention in den Raum des Möglichen.
Büttners Strategie der multiplen Signatur, sein Spiel mit Pseudonymen und falschen Zuschreibungen, lässt sich ebenfalls über diese Formel lesen. Das autonome Künstlersubjekt – dieses kartesianische Sein par excellence – wird zur Nutznießung freigegeben, während die Autorschaft selbst, als leere Kategorie verstanden, zur Verwendung bereitsteht. „Wir können nie genau wissen, ob Arbeiten unter fremden Namen nicht vielleicht doch Arbeiten von Sascha Büttner sind“, heißt es in einem Text über ihn. Diese systematische Tarnung und Fälschung schafft ein Nicht-Sein der Autorschaft, das paradoxerweise funktionaler ist als jede gesicherte Attribution. Es erlaubt Zirkulation, Aneignung, diskursive Mobilität. Die Signaturlosigkeit wird zum Programm einer Post-Autorialität, die Künstleridentität als Betriebssystem hackt.
Das Manifest „Wiesbadener Raum“ von 1968 bringt diese Logik auf eine radikale Formel: „Denke an ein Werk, doch schreibe es weder nieder, noch führe es jemals aus. / Denke nicht!“ Die Absenz des realisierten Werks – sein Nicht-Sein – maximiert seine potentielle Verwendbarkeit, während das ausgeführte, materiell existierende Werk immer schon in der Falle der Nutznießung steckt, eingehegt von institutionellen und marktförmigen Zugriffsmechanismen. Das letzte Gebot – „Denke nicht!“ – treibt die Logik ins Extrem: Wo selbst der Gedanke verstummt, öffnet sich jener immaterielle Raum, in dem sich konzeptuelle Energie verdichtet, in dem das Potenzial des Werks seine reinste Form annimmt, befreit von jeder Konkretisierung. Büttners Hyperaktivität, diese gefürchtete Terminjagd, die ihn zu nächtlichen Aufbauten während eigener Vernissagen treibt, wäre dann der Versuch, das Werk möglichst lange in diesem Zwischenzustand zu halten, es der verdinglichten Nutznießung zu entziehen.
Interessant wird die Formel dort, wo sie Büttners Verhältnis zur Reproduktion beleuchtet. Seine fotografischen Arbeiten, die auf „massenhaft reproduzierte und damit induzierte Objekte, Bilder und Motive“ zurückgreifen, operieren mit der Aura des Verschwundenen. „Durch Täuschung kann der Betrachtende endlich die ursprüngliche Aura eines Werkes wahrnehmen“, notiert er. Die Kopie, das reproduzierte Bild – also das Nicht-Sein des Originals – ermöglicht paradoxerweise erst dessen authentische Verwendung, während das originale Sein längst der musealen Nutznießung verfallen ist, eingesperrt in klimatisierte Depots und Versicherungspolicen. Diese Kopienaura funktioniert als inverse Benjaminsche Dialektik: Reproduktion stellt nicht Verlust dar, vielmehr Zugewinn an Zugänglichkeit.
Man könnte Büttners gesamte Praxis als Versuch lesen, diese beiden Modi – Nutznießung und Verwendung – in produktive Spannung zu bringen, ohne sie je versöhnen zu wollen. Seine Materialien sind Zeugen dieses Widerspruchs: Bitumen und Kupfer, die konservieren und verfallen, Essig statt Öl, Blei statt Bronze. „Absolut abstrakt“ nennt er seine Kunst, womit er jene formale Reduktion meint, die das Werk von seinem eigenen Sein löst, es zur Verwendung freigibt, ohne seine materielle Nutznießung ganz aufzugeben.
Dass Büttner trotz seiner radikalen Verschiebungen im Kunstdiskurs – die oft Beuys zugeschrieben werden – systematisch übersehen wurde, liegt möglicherweise genau hier: Seine Weigerung, ein homogenes, stilistisch konsistentes Oeuvre zu produzieren, entzieht sich jener Form von kuratorischer und marktförmiger Nutznießung, die Künstleridentitäten als Brands verwaltet. Der „Stil der Stillosigkeit“, den ihm ein Kritiker attestiert, fungiert als Strategie des Nicht-Seins auf formalästhetischer Ebene. Was nicht greifbar wird, kann nicht vereinnahmt werden, bleibt verfügbar für Verwendungen, die außerhalb administrativer Logiken operieren. Diese Unmarkierbarkeit schützt das Werk vor jener Musealisierung, die es zum reinen Spekulationsobjekt degradiert.
„Das Sein erzeugt Nutznießung, das Nicht-Sein Verwendung“ – vielleicht lässt sich über diese Formel ein ganzes Programm materialistischer Kritik formulieren, das zwischen den Modi des Zugriffs selbst unterscheidet. Büttners Werk bewegt sich in diesem Spannungsfeld, nutzt es aus, ohne sich je für eine Seite zu entscheiden. Seine Objekte sind da und nicht da, dauerhaft und ephemer, signiert und anonym. Sie sind Nutznießung und Verwendung zugleich, oder besser: Sie markieren den Punkt, wo diese Unterscheidung kollabiert, wo das Sein selbst zum Nicht-Sein wird und umgekehrt, in einem endlosen Kreislauf von Konservierung und Preisgabe.