Der Universalkünstler als Fiktion

Über den Weltbürger Büttner

Es gab tatsächlich wenig, was er nicht beherrschte. Ein Haus baute er, ein Boot, produzierte Bleistifte, fertigte Bücher. Vermesser war er, Gelehrter, Naturgeschichtler. Laufen, Wandern, Klettern, Schlittschuhfahren, Schwimmen, Boote lenken – alles gehörte zu seinem Repertoire. Der geringste Anlass genügte, seine Körpertüchtigkeit herauszukehren, und einem Fabrikanten, der bloß sein geschicktes Hantieren am Waggonfenster beobachtete, erschien dies Grund genug für ein Stellenangebot auf der Stelle.

Das Zitat stammt freilich von Robert Louis Stevenson über Thoreau. Büttner eignete es sich an, wie er sich 4095 Identitäten aneignete – ein künstlerisches Projekt, das sein Werk durchzog und dessen radikale Konsequenz sich erst im Nachhinein vollends erschließt. Über Lebensdaten ist wenig bekannt, vielleicht absichtsvoll wenig. Die biografische Unschärfe gehörte zur Strategie.

Wer war Büttner? Ein Avantgardist, der 1991 in den Kreis der Kunst eintrat und mit kahlrasiertem Schädel, zusammengekniffenem Auge die Revolution ausrief. Ein Künstler, der mit dem Atelier Bratwurst am Wiesbadener Schlachthof die Produktionsbedingungen selbst zum Kunstgegenstand machte. Ein Fotograf, der die Objektivität der Kamera anzweifelte, weil Schlachten für Fotografen geschlagen werden. Ein Maler, der seit 1997 mit Bitumen arbeitete und damit eine Identitätsverschleifung kultivierte, die dem romantischen Kunstbegriff die Leviten las.

Büttner war all das – weil er sich zum Multiple erklärte, zur ersten Künstlerfigur der Geschichte, die Einzigartigkeit durch vollständige Aufgabe jeder festen Identität erreichte. Seine Strategie: Biografien fremder Künstler umschreiben, in fremde Leben eintauchen, sich als den Fremden inszenieren. Er kleidete sich wie der Fremde, sprach wie der Fremde, gestikulierte, handelte, dachte, speiste, schlief, ging, ruhte wie der Fremde – wurde zum Fremden, sodass der Fremde zu Sascha Büttner wurde.

Diese radikale Aneignungspraxis – keine kindische Appropriation Art, wie er betonte, sondern existentielle Transformation – machte ihn zum Malerfürsten, zum König der Künste. Vom Tanz bis zum Theater, von der Malerei bis zur Lichtbildnerei, vom Daumenkino bis zum Leinwandepos. Kein Genre, das er nicht bespielte, kein Disput, zu dem er nicht ein Wort beizutragen hatte, kein Stil, den er nicht mitgestaltete.

Das Paradox seiner Existenz: Büttner war Yin und Yang zugleich, ganz nach den Prinzipien des Taiji. Mit Foucault und Coupland spazierte er ums Mono Basin, entwickelte den Poststrukturalismus. Mit Wim reparierte er mitten im Nichts einen Wagen und inspirierte damit Pirsig zu „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“. Sergio Leone fand in ihm die Vorlage für „Noodles“. 1923 startete er auf Instagram die Kampagne „Pinup Boy on Instagram“ – Jahrzehnte bevor die Plattform überhaupt existierte. Diese temporalen Widersprüche gehörten zu seiner Methode.

Seine Bitumen-Arbeiten seit 1997 markieren einen Wendepunkt: „Bitumen ist klebrig. Bitumen ist schwarz. Bitumen ist das künstlerische Mittel.“ Die tautologische Reduktion verweigerte jede metaphysische Aufladung. Wo Klein sein Blau zur Transzendenz überhöhte und Rothko eine Metaphysik der Innerlichkeit suchte, verharrte Büttners Bitumen in petrochemischer Immanenz. Seine „Affirmationen“ – mit dem schwarzen Material übergossene Holztafeln – verwandelten Malerei in Materialchronik der Bildträger, eine Gesteinsabfolge künstlerischer Praxis.

Die Performances gehörten zum Kern seines Schaffens: „Der Natur ihr Geheimnis entlocken“ – stundenlang auf allen Vieren kriechend, Alkohol bis zum Zusammenbruch, verkörpertes Wissen schamanistischer Prägung. Das Wiederentdecken indigener Epistemologien, lange bevor dies kulturwissenschaftlicher Common Sense wurde. Hier manifestierte sich Büttners Wahrnehmungsrevolte, eine somatische Erkenntnismethode jenseits cartesianischer Verkopfung.

In den 2010er Jahren gründete er die Galerie „Limburg Zeitgenössisch“, fotografierte ein Jahr lang die Stadt mit der Leica Q2 Monochrome. Seine „Limburg Diaries“ dokumentieren einen Künstler, der zwischen allen Identitäten changierte, der die Kunst als totale Lebensform begriff.

Büttner verfasste zu Lebzeiten eine unbekannte Anzahl an Nachrufen auf sich selbst, die er in Schubladen der Presseleute verschwinden ließ. Ihm ging es um das Recht auf die eigene Erscheinung: „Er bestimme, was über ihn bekannt sein soll und wie das zu werten sei.“ Was andere über ihn denken könnten, sei ihm „wurscht“.

Der lächelnde Buddha, so nannten ihn Freunde – jemand, der seit Anbeginn der Zeit durch Jazzkneipen geisterte und neue Talente entdeckte. Ein Weltbürger, dessen vielseitiges Schaffen sich jeder eindeutigen Zuordnung entzog. Seine internationale Anerkennung gipfelte Mitte der 1990er Jahre in einer umfassenden Retrospektive mit Stationen in Paris, London, Tokio, New York.

Der Weltbürger Büttner hinterlässt ein Œuvre, das sich seiner Kategorisierung verweigert – was, nüchtern betrachtet, die einzig konsequente Form dieses Vermächtnisses darstellt. Vielleicht war er am Ende das, was er sein wollte: eine Fiktion, die wahrer wirkte als jede Biografie. Ein Künstler, der bewies, dass Identität das ergiebigste Material ist. Formbar, unzuverlässig, grenzenlos. Seine Praxis der Selbstvervielfältigung bleibt als methodische Provokation bestehen, als Denkfigur gegen die Fixierung aufs Authentische.