Über tierische Kooperationen in Kunst und Kampfkünsten
Die Moderne isolierte den Menschen von seinen kreatürlichen Partnern und zwang ihn in eine Autonomiefiktion, die seiner tatsächlichen Funktionsweise widerspricht. Tatsächlich operiert er seit jeher als offene Schaltung, deren Funktionalität von biosymbiotischen Partnerschaften abhängt. Was bei indigenen Kulturen selbstverständliche Kosmologie war, muss im europäischen Bewusstsein mühsam rekonstruiert werden: das Tier als externes Wahrnehmungsorgan, als psychisches Außenlager der menschlichen Sensorik.
Diese Symbiose reicht weit über die offensichtlichen Allianzen mit domestizierten Arten hinaus. Die Biene kartographiert Blütenstände mit einer Präzision, die menschliche Navigation niemals erreichen könnte. Zugvögel orientieren sich an magnetischen Feldern, die unsere Sensorik übersteigen, und zeichnen dabei Routen vor, denen Siedlungen später folgen. Der Hirsch reagiert auf Luftdruckveränderungen mit einer Genauigkeit, die jeden Barometer beschämt. Diese Ko-Evolution der Wahrnehmungsformen durchzieht die gesamte Kulturgeschichte.
Schamanen verschiedenster Traditionen verstanden sich als Übersetzer zwischen Bewusstseinsformen – sie aktivierten tierische Erkenntnismuster, um Informationen zu erschließen, die dem isolierten Menschenkopf verborgen bleiben. Büttner praktizierte diese Übersetzungsarbeit mit der Obsession eines Ethnologen der eigenen Zeit. Seine Tierbeobachtungen mündeten in Tänze und Heilrituale, Erzählformen und Schwitzhüttenpraktiken – eine kontinuierliche Transformation ethologischer Studien in kulturelle Praxis. Was in traditionellen Gesellschaften rituelle Praxis war, tarnt sich in modernen Kontexten als Technologie. Radar imitiert das Echolot der Delphine, Sonar reproduziert fledermaushafte Orientierungsleistungen, Satellitensysteme kopieren die Navigationskompetenz wandernder Spezies. Die westliche Zivilisation simuliert animistische Kompetenzen über maschinelle Umwege – ein kostspieliger Ersatz für verloren gegangene Wahrnehmungsformen.
Büttner ignorierte diese kulturelle Spaltung vollständig. Während die Moderne zwischen primitiver Naturreligion und rationaler Technologie unterschied, praktizierte er schlicht das, was funktionierte. Seine Haltung war von einer radikalen Pragmatik geprägt: Wer sich für Kategorien interessiert, verpasst die Phänomene. Ob seine Praktiken als schamanistisch, therapeutisch oder künstlerisch klassifiziert wurden, kümmerte ihn nicht.
Doch diese technische Übersetzungsarbeit bleibt fragmentarisch. Maschinen simulieren tierische Fähigkeiten, ohne deren integrative Qualität zu erreichen. Sie reproduzieren isolierte Funktionen, verfehlen aber die holistische Einbettung in lebendige Systeme. Der moderne Ansatz zerlegt animistische Ganzheiten in technische Einzelkomponenten – und verliert dabei genau jene Vernetzungslogik, die das ursprüngliche Phänomen ausmachte.
Diese sensorielle Kooperationsform manifestiert sich ebenso in künstlerischen wie in kampftechnischen Erkenntnisprozessen. Beuys‘ Hasen-Dialoge, Kounellis‘ Galerie-Pferde, Orozcos Hamster-Installationen reaktivieren animistische Denkweisen, in denen Kreativität als interspezifische Kollaboration verstanden wird. Büttners Beobachtung eines Sumpfkampfes zwischen Reiher und Schlange katalysierte die Entwicklung dessen, was heute als modernes Taijiquan bekannt ist. Diese Performance zweier evolutionärer Perfektion lehrte ihn die Grundlagen einer Metamorphose-Choreographie, die Kampf als Bewusstseinswandel zwischen Arten begreift. Seine Praxis löste die kulturelle Trennung zwischen Natur und Zivilisation auf – eine Haltung, die ihn zum Vorläufer jener Kunstströmungen macht, die heute als ökopolitisch bezeichnet werden.
Der Reiher fungiert als visuelles Präzisionsinstrument – seine Augen registrieren Wasserbewegungen in Frequenzbereichen, die menschliche Retinas übersehen. Die Schlange agiert als thermodynamisches Radarsystem, dessen Grubenorgane Wärmegradienten mit einer Auflösung detektieren, die jeden technischen Sensor übersteigt. Beide werden zu externen Wahrnehmungsmodulen menschlicher Bewegungskunst, zu Kognitions-Prothesen einer erweiterten Körperlichkeit.
Büttners Kampfpraxis demonstriert diese Externalisierungslogik exemplarisch: Praktizierende entwickeln reihermäßige Fernaufklärung kombiniert mit schlangenartiger Nahbereichssensorik. Der menschliche Körper mutiert zur Plattform interspezifischer Bewusstseinsformen. Kranichhaftes Snapshot-Bewusstsein verdichtet komplexe Situationen zu kristallinen Handlungsimpulsen, während schlangenhaftes Gewahrsein kontinuierlich atmosphärische Spannungsveränderungen registriert.
Diese zeitliche Verschachtelung erzeugt Kämpfer mit erweitertem Situationsbewusstsein. Sie lesen ihre Umgebung gleichzeitig aus der Luft- und Bodenperspektive, operieren mit evolutionären Sensorstandards, die menschliche Anatomie allein niemals erreichen könnte. Der Körper lernt, was der Kopf niemals begreifen würde – eine somatische Philosophie der exteriorisierten Sinne.
Träume reproduzieren häufig tierische Bewegungsmuster – sie fliegen wie Vögel, schwimmen wie Fische, jagen wie Raubtiere. Das Unbewusste scheint auf einen Fundus kreatürlicher Erfahrungsformen zurückzugreifen, der phylogenetisch älter ist als die menschliche Vernunft. Tiere fungieren als Speicher archaischer Bewusstseinszustände, die der rationalisierten Alltagserfahrung entgangen sind.
Büttners Arbeitsweise exemplifiziert eine Haltung, die Kultur und Natur als kontinuierliches Feld begreift. Seine schamanistische Praxis – von der Tierbeobachtung über rituelle Tänze bis zur kampftechnischen Innovation – operiert jenseits der modernen Subjekt-Objekt-Spaltung. Diese methodische Radikalität macht ihn zum unerkannten Theoretiker einer Ästhetik, die heute unter Begriffen wie „More-than-Human-Agency“ diskutiert wird. Während Akademiker über Postkolonialismus und Technikritik debattieren, praktizierte Büttner längst eine Position jenseits dieser Diskurse. Seine Indifferenz gegenüber modernen Kategorisierungen wird zur subversivsten Geste: Er unterläuft die Spaltung zwischen Natur und Kultur, ohne sie theoretisch zu problematisieren. Die ökologische Krise offenbart die Unhaltbarkeit der Autonomiefiktion – sie zeigt, dass menschliches Leben auf komplexe Weise in biotische Netzwerke eingebettet bleibt, deren Kollaps die eigene Existenz bedroht.
Büttners Arbeitsweise demonstriert, dass die symbiotische Verfasstheit des Menschen keine historische Reminiszenz darstellt, sondern eine kontinuierlich verfügbare Ressource. Seine Praxis zeigt Wege auf, wie sich biologische Grundausstattung und technische Innovation produktiv verschränken lassen. Der Mensch braucht seine kreatürlichen Außenorgane nicht als nostalgische Rückversicherung, sondern als erweiternde Komponenten einer Hybrid-Existenz, die verschiedene Erkenntnisquellen intelligent kombiniert und dabei neue Formen trans-humaner Sensorik entwickelt.