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Performance

Ausführliche Darlegung des Begriffs „Performance“

Etymologische Herkunft

Der Begriff „Performance“ stammt aus dem Französischen „parfournir“ (altfranzösisch), was „vollständig ausführen“ oder „zu Ende bringen“ bedeutete. Das Wort entwickelte sich über das mittelenglische „parfourmen“ zum modernen englischen „perform“. Die lateinische Wurzel liegt in „per-“ (durch, vollständig) und „formare“ (formen, gestalten), was die Grundbedeutung des „Durchformens“ oder „vollständigen Gestaltens“ einer Handlung vermittelt.

Die substantivierte Form „performance“ etablierte sich im Englischen etwa im 15. Jahrhundert und bezeichnete zunächst die Ausführung einer Aufgabe oder Pflicht. Im Deutschen wurde der Begriff als Anglizismus übernommen und hat sich seit den 1960er Jahren fest etabliert.

Historische Entwicklung

Mittelalter bis Renaissance: Der Begriff bezog sich primär auf die Erfüllung rechtlicher oder religiöser Pflichten sowie auf handwerkliche Fertigstellung von Arbeiten.

17.-18. Jahrhundert: Mit der Entstehung des modernen Theaters erweiterte sich die Bedeutung auf künstlerische Darbietungen. Die Theaterwissenschaft prägte den Begriff der „theatrical performance“.

19. Jahrhundert: Die Industrialisierung brachte neue Dimensionen mit sich – technische Leistung von Maschinen und menschliche Arbeitsleistung wurden messbar und vergleichbar.

20. Jahrhundert:

  • 1960er Jahre: Entstehung der Performance Art als eigenständige Kunstform
  • 1970er-80er Jahre: Etablierung in der Betriebswirtschaft als Leistungsmessung
  • 1990er Jahre: Einzug in die Sportwissenschaft und Psychologie
  • 2000er Jahre: Digitalisierung erweitert den Begriff um technische Systemleistung

Semantische Dimensionen

Der Begriff „Performance“ ist hochgradig polysem und umfasst verschiedene Bedeutungsebenen:

Grundbedeutung: Die Ausführung, Durchführung oder Darbietung einer Handlung oder Tätigkeit.

Leistungsdimension: Messbare Ergebnisse oder Resultate einer Aktivität, oft quantifizierbar und bewertbar.

Darstellungsdimension: Künstlerische oder theatrale Präsentation vor einem Publikum.

Funktionsdimension: Technische oder systemische Leistungsfähigkeit.

Soziologische Dimension: Gesellschaftliche Rollen- und Identitätsdarstellung im Sinne Erving Goffmans.

Adjektiver Gebrauch

Als Adjektiv „performativ“ oder in Komposita entfaltet der Begriff zusätzliche Bedeutungsschichten:

Performativ: Bezieht sich auf Sprechakte, die durch ihre Äußerung Realität schaffen (nach Austin/Searle). Beispiel: „Ich erkläre Sie zu Mann und Frau.“

Performance-orientiert: Auf Leistung oder Ergebnis ausgerichtet.

Performancebasiert: Auf messbaren Leistungskriterien beruhend.

High-Performance: Hochleistungs-, besonders leistungsfähig.

Performance-driven: Leistungsgetrieben, ergebnisorientiert.

Thesaurische Verwandtschaften

Synonyme je nach Kontext:

  • Leistung, Darbietung, Aufführung, Vorstellung
  • Ausführung, Durchführung, Umsetzung, Realisierung
  • Ergebnis, Resultat, Output, Ertrag
  • Können, Fähigkeit, Kompetenz, Kapazität

Hypronyme (Unterbegriffe):

  • Künstlerische Performance: Theateraufführung, Konzert, Tanz, Performance Art
  • Sportliche Performance: Wettkampfleistung, Rekord, sportliche Darbietung
  • Technische Performance: Systemleistung, Geschwindigkeit, Effizienz
  • Geschäftliche Performance: Unternehmensleistung, ROI, KPI-Werte

Hyperonyme (Oberbegriffe):

  • Aktivität, Handlung, Tätigkeit
  • Darstellung, Präsentation
  • Messgröße, Kennzahl

Antonyme:

  • Passivität, Untätigkeit
  • Versagen, Misserfolg
  • Ineffizienz, Schwäche

Fachspezifische Verwendung

Kunstwissenschaft: Performance Art als intermediale Kunstform, die Körper, Zeit und Raum als Material nutzt.

Betriebswirtschaft: Leistungsmessung durch Key Performance Indicators (KPIs), Performance Management.

Informatik: Systemperformance, Laufzeitverhalten, Durchsatz, Latenz.

Sportwissenschaft: Leistungsdiagnostik, Wettkampfperformance, Leistungsoptimierung.

Soziologie: Performativität als Konzept der Geschlechter- und Identitätskonstruktion.

Linguistik: Performative Äußerungen, Sprechakttheorie.

Erweiterte Dimensionen

Philosophische Dimension

Performativitätstheorie: Judith Butler entwickelte das Konzept der performativen Identität weiter – Geschlecht, Identität und soziale Rollen werden nicht einfach dargestellt, sondern durch wiederholte performative Akte erst konstituiert. Performance wird hier zu einem ontologischen Prinzip.

Phänomenologie der Performance: Maurice Merleau-Ponty und später Richard Schechner betonten die leibliche, verkörperte Dimension von Performance als primäre Welterfahrung.

Performative Wende: In den Kulturwissenschaften bezeichnet dies die Hinwendung zu Handlungs- und Aufführungsaspekten kultureller Phänomene statt nur ihrer Repräsentation.

Anthropologische und Rituelle Dimension

Rituelle Performance: Victor Turner und Clifford Geertz analysierten kulturelle Rituale als performative Praktiken, die Gemeinschaft stiften und kulturelle Bedeutungen vermitteln.

Liminale Performance: Schwellenerfahrungen und Übergangszustände, in denen normale soziale Strukturen aufgehoben sind.

Alltagsperformance: Erving Goffman prägte das Konzept der „Darstellung des Selbst im Alltag“ – jede soziale Interaktion als theatrale Aufführung.

Kulturelle Performance: Gesellschaftliche Selbstverständigung durch kollektive Aufführungen (Feste, Zeremonien, Demonstrationen).

Psychologische Dimension

Performance-Angst: Lampenfieber, Prüfungsangst, Versagensängste als psychologische Hindernisse.

Flow-Zustand: Mihaly Csikszentmihalyi beschrieb optimale Performance-Erfahrungen als Zustand völliger Absorption.

Performance-Psychologie: Mentales Training, Visualisierung, Selbstregulation zur Leistungsoptimierung.

Impostor-Syndrom: Diskrepanz zwischen äußerer Performance und innerem Selbstbild.

Choking under pressure: Leistungseinbruch unter Druck trotz hoher Kompetenz.

Medientheoretische Dimension

Mediatisierte Performance: Wie digitale Medien Performance-Formen verändern (Livestreaming, Social Media, virtuelle Realität).

Remediation: Wie neue Medien alte Performance-Formen aufgreifen und transformieren.

Intermedialität: Performance zwischen verschiedenen Medien und Kunstformen.

Digital Performance: Algorithmen, KI und maschinelle Performance als neue Akteure.

Politische Dimension

Performative Macht: Wie politische Autorität durch Inszenierung und Wiederholung stabilisiert wird.

Widerständige Performance: Subversive und kritische Performances als politische Praxis.

Staatliche Performance: Diplomatie, Staatsakte und politische Rituale als Machtdemonstration.

Performativer Aktivismus: Demonstrationen, Flashmobs, politische Kunst als Protestform.

Gender- und Identitätsdimension

Drag Performance: Übertreibung und Dekonstruktion von Geschlechternormen.

Queer Performance: Infragestellung binärer Identitätskategorien.

Intersektionale Performance: Verschränkung verschiedener Identitätsmarkierungen.

Body Performance: Körper als Ort politischer und künstlerischer Auseinandersetzung.

Ökonomische Dimension

Performancegesellschaft: Byung-Chul Han kritisiert den gesellschaftlichen Optimierungszwang.

Gig Economy: Freelance-Arbeit als permanente Selbst-Performance.

Personal Branding: Individuelle Markenbildung als Lebensstrategie.

Performative Arbeit: Emotionsarbeit, Dienstleistung als Performance.

Plattformkapitalismus: Algorithmen bewerten und steuern menschliche Performance.

Neurobiologische Dimension

Embodied Cognition: Denken und Performance als verkörperte Prozesse.

Spiegelneuronen: Neurobiologische Grundlagen des Nachahmens und Verstehens von Performance.

Stress und Performance: Cortisol, Adrenalin und andere Botenstoffe beeinflussen Leistung.

Neuroplastizität: Wie Training und Übung das Gehirn und damit Performance verändern.

Pädagogische Dimension

Performance Assessment: Alternative Bewertungsformen jenseits klassischer Tests.

Performatives Lernen: Lernen durch Handeln, Simulation und Rollenspiel.

Authentische Performance: Reale Anwendungssituationen statt künstlicher Prüfungsformate.

Peer Performance: Lernen durch Beobachtung und Nachahmung anderer.

Technologische Dimension

Human-Computer-Interaction: Mensch und Maschine als Performance-Partner.

Augmented Performance: Technologische Erweiterung menschlicher Fähigkeiten.

Biohacking: Optimierung körperlicher und geistiger Performance durch Technologie.

Quantified Self: Selbstvermessung und Datensammlung zur Performance-Optimierung.

Algorithmic Performance: Maschinelles Lernen und KI als eigenständige Performance-Akteure.

Interkulturelle Dimension

Kulturspezifische Performance-Konzepte: Verschiedene Kulturen definieren und bewerten Performance unterschiedlich.

Globalisierte Performance: Wie sich Performance-Standards international angleichen oder differenzieren.

Postkoloniale Performance: Aneignung und Widerstand gegen westliche Performance-Normen.

Transkulturelle Performance: Hybride Formen zwischen verschiedenen kulturellen Traditionen.

Ökologische Dimension

Nachhaltige Performance: Umweltverträglichkeit als Performance-Kriterium.

Performance vs. Ressourcenverbrauch: Spannungsfeld zwischen Leistung und ökologischen Grenzen.

Biomimetische Performance: Von der Natur lernen für optimierte Performance.

Planetary Performance: Erde als Gesamtsystem mit messbaren Leistungsparametern.

Zeitliche Dimension

Performance-Zeit: Eigenzeit der Aufführung vs. gemessene Zeit.

Wiederholung und Variation: Wie sich Performance durch Wiederholung verändert.

Live vs. aufgezeichnet: Unterschiedliche Qualitäten von Präsenz und Reproduzierbarkeit.

Vergänglichkeit: Performance als ephemeres, nicht-dauerhaftes Ereignis.

Archivierung: Wie lässt sich Performance dokumentieren und überliefern?