Räumliche Strukturierung von Erinnerungsprozessen, die über metaphorische Raumkonzepte hinausgeht und konkrete spatiale Anordnungen meint. Diese Architektonik organisiert Erinnerung durch Positionierungen, Distanzen, Verdichtungen – sie macht Zeit räumlich erfahrbar. Die Konzentration der Steine zur ehemaligen Rampe hin konstruiert eine solche Architektonik: Die räumliche Verdichtung korrespondiert mit der historischen Verdichtung des Traumas an diesem Ort.
Enzyklopädie
Gedächtniskluft
Die unüberbrückbare Distanz zwischen historischem Ereignis und gegenwärtiger Erinnerungsarbeit. Der Begriff beschreibt nicht einfach zeitliche Ferne, sondern eine strukturelle Unmöglichkeit der Identifikation. Büttners Pflastersteine liegen verstreut zwischen Fotografien vom Gedenkmarsch – aber die Steine sind nicht die Deportierten, die Fotos nicht das Ereignis, die Erinnerung nicht das Trauma. Die Kluft muss anerkannt werden, sonst kippt […]
Gegenlektüre
Lektürepraxis, die nach dem Verdrängten, dem Ungesagten sucht – jenem Rest, der übrigbleibt, wenn man die offizielle Lesart wie eine Maske vom Text löst. Nicht die kanonische Bedeutung, sondern die virtuellen Alternativlektüren, die den offiziellen Sinn unterminieren.
Gehskulptur
Gehskulptur (f.) Kollektives Kunstwerk, das sich aus der Überlagerung individueller Wanderrouten ergibt. Jede einzelne Bewegung fügt dem Ganzen eine neue Dimension hinzu, ohne das bestehende Gefüge zu zerstören. Die Gehskulptur wächst durch Addition von Schritten, bildet ein lebendiges Archiv menschlicher Mobilität. Als soziale Plastik im Sinne Beuys‘ erweitert sie den Kunstbegriff um die Dimension der […]
Genesisch armes Bild
Aufnahme, deren Degradation im Entstehungsmoment angelegt ist (im Unterschied zum zirkulatorisch verarmten Bild, das durch Kopieren und Komprimieren an Qualität verliert); originäre Unschärfe.
Geschichtsentropie
Tendenz historischer Narrative zur Auflösung in unzusammenhängende Fragmente, analog zum thermodynamischen Prinzip steigender Unordnung. Diese Entropie ist kein Verlust, sondern Bedingung postmoderner Geschichtsauffassung – die große Erzählung zerfällt in Mikro-Narrative, die sich weder synthetisieren noch hierarchisieren lassen. Büttners verstreute Steine materialisieren diese Entropie: Jeder Stein ein Fragment, das sich der Reintegration in eine kohärente Wegstruktur […]
Gestusminimierung
[f., Singular; von lat. gestus = Gebärde + Minimierung] Bezeichnung für die kontrollierte Reduktion des individuellen Ausdrucks ohne dessen vollständige Elimination. Die Gestusminimierung operiert in jenem schmalen Korridor zwischen expressionistischer Aufladung und maschineller Neutralität, den bereits die Minimal Art zu kartografieren suchte. Anders als die totale Entpersönlichung industrieller Fertigung bewahrt sie Spuren der Hand – […]
Gliederungsanforderungen
Implizite Normen, die digitale Formate an Texte stellen, um deren Prozessierbarkeit zu gewährleisten. Gliederung meint hier die maschinenlesbare Segmentierung: Kapitel, Absätze, Sätze, markiert durch entsprechende Codes und Zeichen. E-Books benötigen diese Gliederung für Navigation, Suche, Barrierefreiheit – ohne sie bleibt der Text ein opaker Block. Der Begriff macht sichtbar, dass digitale Publikation keineswegs voraussetzungslos funktioniert: […]
Grenzüberschreibung
Grenzüberschreibung (f.) Doppeltes Verfahren der gleichzeitigen physischen Überquerung und symbolischen Neubeschreibung territorialer Markierungen. Der Begriff meint die performative Dekonstruktion staatlicher Demarkationslinien durch den Akt des Gehens. Grenzüberschreibung transformiert administrative Fiktionen in körperliche Erfahrung, macht sichtbar, dass Grenzen auf Papier gezeichnete Konstrukte sind, deren Realität durch menschliche Bewegung relativiert wird.
Grundlagenarbeit
Büttners existenzielle Praxis als methodische Bearbeitung der Fundamente menschlicher Erfahrung. Statt spektakulärer Gesten oder theoretischer Konstruktionen konzentriiert er sich auf elementare Prozesse: Atmen, Gehen, Schauen, Erzählen. Diese scheinbare Banalität erweist sich als radikale Strategie – durch Vertiefung des Gewöhnlichen wird das Außergewöhnliche erreicht.