Performance als Lebenskunst

Büttners ganzheitlicher Ansatz

Büttner operiert mit einem Performance-Begriff, der etablierte Kategorisierungen elegant unterläuft. In seiner Praxis verschmelzen Taijiquan, Qigong, Fotografie und Textarbeit zu einer einzigen künstlerischen Haltung, die das Leben selbst als Gestaltungsraum begreift. Die Taijiquan-Bewegungen entwickeln eine raumgreifende Meditation, deren Fluss eine eigene Grammatik hervorbringt. Momentane Verdichtungen innerer Zustände werden zu sichtbaren Formen – Choreographien, die sich jeder Wiederholbarkeit entziehen. Das Qigong fügt energetische Tiefenschichten hinzu, in denen Atemrhythmus und Aufmerksamkeitslenkung zu subtiler Performativität verschmelzen, die sich an das eigene Bewusstsein wendet.

Seine kontemplative Grundhaltung setzt sich in der Fotografie fort. Der Akt des Fotografierens verdichtet komplexe Wahrnehmungsprozesse, bei denen Technik und Intuition spezifische Allianzen eingehen. Jedes Bild vollzieht eine interpretative Neuschöpfung der Welt. Die Performance liegt bereits im Prozess des Suchens und Erkennens – ein animistisches Wechselspiel mit den Dingen, die ihre eigene Ausdruckskraft entfalten. Seine Schreibpraxis offenbart die Tragweite dieser Verflechtung verschiedener Medien. Gedankenentwicklung folgt organischen Rhythmen, die Wortwahl orientiert sich an energetischen wie ästhetischen Parametern. Text wird zur Partitur verkörperter Erfahrung, die über begriffliche Grenzen hinausweist und körperliche Dimensionen des Verstehens aktiviert.

Die Verschmelzung verschiedener Ausdrucksmodi evoziert deutliche Resonanzen mit Joseph Beuys‘ erweitertem Kunstbegriff, entwickelt dessen Grundintuition jedoch in andere Richtungen weiter. Beuys konzipierte die „soziale Plastik“ als gesellschaftsformende Kraft. Büttner wendet sich einer intimeren Sphäre der Selbstkultivierung zu. Seine Performance-Praxis vollzieht eine Bewusstseins-Mikropolitik, die individuelle Verfeinerung als gesellschaftlich wirksame Kraft begreift. Die Beuys’sche Formel „Jeder Mensch ist ein Künstler“ erfährt eine meditative Wendung. Gesellschaftliche Heilung durch kreative Aktivierung transformiert sich zu einer ästhetischen Lebenspraxis, die ihre transformative Kraft aus kontinuierlicher Vertiefung schöpft. Die östlichen Bewegungskünste fungieren als Korrektiv zu Beuys‘ westlich-aktivistischer Ausrichtung.

Diese ästhetische Lebensführung entwickelt zugleich eine implizite Kritik an der spektakulären Performance-Kultur, die Guy Debord als Kernpathologie der Konsumgesellschaft diagnostizierte. Büttners Herangehensweise verweigert die Aufführungslogik, die ein Publikum voraussetzt und Authentizität zur Ware degradiert. Er kultiviert Formen des „Agierens-mit“ – partizipative Intensität, die das Gegenüber zur Mitwirkung einlädt, ohne es zum passiven Rezipienten zu degradieren. Die Taijiquan-Bewegung entfaltet sich ohne Zuschauer-Adresse, die Fotografie wird zur kollaborativen Welterkundung, das Schreiben zum dialogischen Prozess. Büttner entwickelt eine Anti-Spektakel-Performance, die ihre Wirksamkeit aus der Verweigerung exhibitionistischer Gesten bezieht. Seine Workshops werden zu Laboratorien gemeinsamer Erfahrung, wo jeder Teilnehmende zum Co-Performen eingeladen ist.

Das Prinzip jener Anti-Performance findet seine konsequenteste Entfaltung in seiner Retreat-Praxis. Büttner kultiviert die Stille als produktive Kraft, die jenseits der westlichen Aktivitätsobsession neue Handlungsräume erschließt. Seine Retreats entwickeln eine Stillezeitlichkeit, die an die zyklischen Rhythmen indigener Traditionen erinnert, ohne deren kulturelle Spezifik zu appropriieren. Jene Schweige-Intensität evoziert Marina Abramovićs durational performances, entwickelt jedoch eine entgegengesetzte Richtung: Abramovićs extreme körperliche und psychische Belastung weichen bei Büttner der Verfeinerung durch Reduktion. Die meditativen Rückzüge werden zu Laboratorien einer Post-Performance-Ästhetik, die ihre Wirksamkeit aus dem Verzicht auf jede Demonstration bezieht. Seine Praxis zeigt Affinitäten zu John Cages kompositorischer Stille-Erkundung, dispensiert dabei mit dessen konzeptuellen Rahmen.

Aus derartiger stiller Intensität heraus entfaltet sich paradoxerweise eine kollektive Dimension. Seine Workshop- und Kurspraxis zeigt, wie sich individuelle Kontemplation und kollektive Erfahrung organisch durchdringen. Die Streifzüge werden zu geteilten Meditationsgängen, bei denen Gruppe und Einsamkeit paradoxe Verbindungen eingehen. Hier entsteht eine Form sozialer Plastik, die ihre Wirksamkeit aus gemeinsamer Versenkung bezieht – eine Art Versenkungsgemeinschaft, die Kollektivität durch simultane Innerlichkeit stiftet. Seine Gehpraxis entwickelt eine Aufmerksamkeit für die Beseeltheit der Landschaft, die über romantische Naturbetrachtung hinausgeht und an schamanische Weltwahrnehmung grenzt, ohne deren kulturelle Codes zu usurpieren.

Das metalabor führt diese Laborpraxis zur konsequentesten Entfaltung – ein jährliches Zusammentreffen im Taunus, wo sich die Teilnehmenden selbst zu Akteuren und Zeugen ihres kollektiven Forschens machen, ohne externe Validierung zu suchen. Eingeladene versammeln sich für ein Wochenende der gemeinsamen Forschung, die zwischen räumlicher Öffnung und Schließung oszilliert, eine unmilitärische, enthierarchisierte Sozialform verwirklicht und Aushandlungsprozesse zwischen Expertentum und Dilettantismus ermöglicht. Jene Konstellation arbeitet in einer Zeit der Dauer, entwickelt sich als intellektuelle Spielwiese für alternative Szenarien und verbindet Ernsthaftigkeit mit Zwanglosigkeit. Seine Praxis evoziert die Fluxus-Bewegung der 60er und 70er Jahre, transformiert deren öffentliche Happenings jedoch in eine geschlossene Ökonomie der Teilnahme. Wo Fluxus-Künstler wie George Maciunas oder Nam June Paik ephemere Events für ein externes Publikum schufen, entwickelt Büttner eine Auto-Performance von Teilnehmenden für Teilnehmende – eine reflexive Schleife kollektiver Kreativität, die sich jeder spektakulären Verwertung entzieht. Seine partizipative Gehpraxis macht den Weg zum gemeinsam gestalteten Ereignis, dessen einzige Zeugen die Mitwirkenden selbst sind. Seine pädagogische Methode folgt taoistischen Wu Wei-Prinzipien – ein Führen durch Nichtführen, das den anderen ihre eigene Performance-Qualität erfahren lässt.

Die Verschmelzung verschiedener Ausdrucksmodalitäten gründet in einem erweiterten Performance-Verständnis, das die ursprüngliche Wortbedeutung des vollständigen Durchformens ernst nimmt. Büttner entwickelt eine Lebenspraxis, die jeden bewussten Akt als potenzielle Gestaltung begreift. Lebensführung wird zur kontinuierlichen Aufführung. Seine Herangehensweise zeigt Verwandtschaften zu Allan Kaprows „art-like life“ – Experimente, die Kunst und Alltag durch sorgfältig orchestrierte Aktivitäten verbanden. Büttner dispensiert mit Kaprows institutionellen Rahmen und entwickelt eine Lebenspraxis, die ihre künstlerische Qualität aus kontinuierlicher Aufmerksamkeit gewinnt. Seine Performativität gründet körperlich fundiert, meditativ orientiert, entwickelt dabei eine spezifische Sozialität der geteilten Behutsamkeit.

Jene Aufmerksamkeitspraxis speist sich aus der Synthese verschiedener kultureller Traditionen, die eine eigene Authentizität entwickelt. Östliche Bewegungskünste bringen eine somatische Behutsam­keitsdimension ein, die westliche Kunstformen häufig vernachlässigen. Fotografie erweitert diese um visuelle Weltaneignung und technische Vermittlung. Das Schreiben fungiert als reflexives Medium, das alle Erfahrungsebenen sprachlich durcharbeitet. Diese Integration entspringt einem tiefen Verständnis gemeinsamer kreativer Wurzeln. Beuys‘ Materialtheologie blieb christlich-anthroposophisch grundiert, Büttner öffnet sich dezidiert für fernöstliche Weisheitstraditionen. Seine Performance-Praxis entwickelt eine post-dualistische Ästhetik, die Körper und Geist, Form und Inhalt, Praxis und Reflexion organisch verbindet.

In dieser Verbindung zeigt sich, wie Performance in ihrer umfassendsten Bedeutung die menschliche Art der Weltgestaltung selbst beschreibt – eine kontinuierliche Praxis der Bedeutungsschöpfung, die sich über verschiedene Medien und Modalitäten entfaltet, dabei eine konsistente ästhetische Grundhaltung bewahrt. Seine subtile Radikalität liegt in der konsequenten Verweigerung spektakulärer Gesten zugunsten einer verfeinerten Alltagsperformativität. Die kollektiven Formate seiner Arbeit entwickeln eine paradoxe Sozialität: Gemeinschaft entsteht durch geteilte Versenkung, Austausch durch gemeinsames Schweigen, Lernen durch reziproke Beobachtung innerer Bewegungen. Seine Streifzüge werden zu ambulanten Klöstern, seine Workshops zu temporären Sanghas, in denen sich westliche Performance-Kunst und östliche Kontemplationspraxis zu einer zeitgenössischen Form spiritueller Gemeinschaftsbildung verdichten.

Beuys visierte die große gesellschaftliche Transformation an, Büttner kultiviert eine mikrokosmsiche Präzision, die ihre kollektive Dimension aus der Qualität der individuellen Praxis gewinnt. Seine Weiterentwicklung des erweiterten Kunstbegriffs zeigt, wie dieser seine visionäre Kraft aus der Stille bezieht – eine performative Praxis, die ihre revolutionäre Qualität aus der Tiefe ihrer Verwurzelung schöpft und dabei neue Formen sozialer Plastik durch kontemplative Kollektivität erprobt.